07.01.2022

von Nina Berkowsky

 

Kapitel 1

Eine dunkle, klare Nacht

Es war einmal vor langer, langer Zeit ein Bergsteiger namens Bruce, der in einer dunklen, klaren Nacht in einer Höhle Schutz suchte. Er fand dort ein Ei, aber es war kein gewöhnliches Hühnerei, sondern ein Drachenei. 

Das war dem Bergsteiger bewusst und am nächsten Tag wanderte er ins nächstbeste Dorf und verschickte es an seinen Sohn Jonathan. „Ringringringring“ klingelte Jonathans Wecker am Samstagmorgen. Jonathan machte die Augen blitzschnell auf, sprang aus dem Bett und rief, dass die ganze Nachbarschaft es hören konnte: „Ich habe Geburtstag!“ 

Er flitzte so schnell wie noch nie die Treppen runter ins Wohnzimmer, wo schon Mama und bestimmt zehn Geschenke standen. „Da bist du ja, mein Schatz, ich dachte schon, du stehst gar nicht auf!“ 

„Na ja“, sagte Jonathan mit schläfriger Stimme, bevor er Mama fast umstieß, weil er sie so doll knuddelte. Plötzlich klingelte es an der Haustür und Jonathan sagte schnell:“ Keine Sorge, ich mach schon auf, Mami!“  

Vor der Tür stand der Postbote Lucas.

Kapitel 2

Das Päckchen

Lukas trug ein Päckchen bei sich und Jonathan ahnte schon, was es war, und zwar ein Geschenk seines Vaters.
Er nahm es dankend entgegen, schloss die Tür hinter sich und trat stumm ins Wohnzimmer.
Mama fragte verwundert: „Wer war es denn?“
Jonathan seufzte: „Lukas. Er hat mir dieses Päckchen gegeben.“
Er zeigte das Päckchen hoch, setzte sich auf das türkisfarbene Sofa und fing langsam an, die Schleife auseinander zu fädeln.
Als er damit fertig war, nahm er behutsam den Deckel ab und sah ein großes Ei.
Er überlegte kurz, dann breitete sich ein Grinsen in seinem Gesicht aus und er dachte zufrieden: „Es ist ein Drachenei!“
Er packte schnell noch die anderen Geschenke aus und lief dann in sein Zimmer, setzte sich an den Schreibtisch und begann, einen Brief an seinen Vater zu schreiben.

Kapitel 3

Der Brief

„Hallo Papi! Danke für das Ei! Natürlich weiß ich, dass es ein Drachenei ist.
Muss noch Mama davon erzählen und sie überzeugen, dass wir das Ei und später den Drachen behalten können…Hoffentlich kommst du bald wieder!
Dein Jonathan

P.S. Ich habe dich ganz doll lieb!!!“

Jonathan steckte den Brief in einen Briefumschlag und klebte eine Briefmarke drauf.
Er flitzte nach unten durch das Wohnzimmer und schließlich im Schlafanzug nach draußen, um den Brief in den Briefkasten zu werfen, denn gerade kam Lukas auf seinem knallgelben Fahrrad um die Ecke gesaust.
Jonathan rief verzweifelt: „Halt, halt, warte!“
Das funktionierte und Lukas wartete, bis Jonathan keuchend bei ihm ankam und fragte erstaunt: „Na, was is’n los?! Bist ja gar nicht angezogen… Hast du `nen Brief für mich?“
„Yep, hab ich! Der ist für meinen Vater, kannst du ihn zu ihm schicken?“
„Klar doch! Gib her, ich werde gucken, was ich tun kann!“ 
„Du bist der Beste!“ sagte Jonathan glücklich und ging zufrieden wieder ins Haus.

Kapitel 4

Der Riss

Nach ein paar Tagen sah Jonathan einen tiefen Riss in dem Ei.

Er dachte nach und beschloss, Mama zu erzählen, dass es kein Spielzeugei ist, aus dem ein Plüschdrache schlüpft, sondern ein richtiges Drachenei, aus dem ein feuerspuckendes Drachenbaby schlüpfen wird.

Jonathan zog seinen Lieblingspullover und eine lässige Jeans an und machte sich schulbereit, denn heute war leider kein Wochenende, sondern erst Dienstag.
Er ging die Treppe runter und dann in die Küche.
Er setzte sich an den Tisch, wo schon ein Sandwich wartete und fing an zu frühstücken.
Er dachte, ob er das mit dem Drachen jetzt schon sagen soll oder später oder vielleicht an einem anderen Tag?
Plötzlich wurde er von Mama aus den Gedanken gerissen. Sie fragte: „Soll ich dich heute bringen oder gehst du alleine?“
Jonathan überlegte nicht lange und sagte: „Ich gehe alleine!“

Kapitel 5

Na toll! 

Jonathan aß den letzten Happs von seinem Sandwich und schlüpfte in seine Schuhe.
Er verabschiedete sich mit einem schnellen „Tschüss!“ von seiner Mutter und trat aus der Tür.
Den ganzen Weg über grübelte er. Er grübelte so doll, dass er die Zeit aus den Augen verlor.
Als er endlich an der Schule ankam, war es schon 08:35, aber der normale Unterrichtsbeginn ist um 08:10! Er merkte es gar nicht und ging in die Schule. Er betrat die Klasse und Herr Steinmeier begrüßte ihn mit saurem Blick: „Jonathan Messner, mal wieder zu spät gekommen!“
Das „spät“ betonte er sehr doll und Jonathan setzte sich stumm neben Lotta, seine Tischnachbarin.
Lotta fragte neugierig: “Hey Jo, was war denn bei dir los?!“
Jonathan antwortete nicht.
Die weiteren Schulstunden vergingen wie im Flug.
Nach dem Schulschluss fragte der Trottel Nino Jonathan mit böse grinsendem Gesicht: „Hey du Doofi, willst du beweisen, dass du nicht so ein Loser bist, wie alle denken?!“
„Wann???“ fragte Jonathan mit tiefer Stimme.

Kapitel 6

OMG

„Um 17 Uhr am Montag in der Betongasse!“ sagte Nino.
„Ist gebongt!“ rief Jonathan und warf Nino einen vernichtenden Blick zu.
Jonathan trottete nach Hause. Eins muss man wissen, die beiden waren nicht immer Erzfeinde. Sie waren einmal sogar beste Freunde! Sie hatten einen Riesenstreit, und Jonathan denkt nicht gerne daran.
Er schloss die Haustür auf und ging hinein.
Er trampelte die Treppen rauf und schaute nach dem Ei.
Er starrte entsetzt auf seine Bettdecke, denn dort lag ein Drachenbaby und schlief.
Er lief auf Zehenspitzen auf den Drachen zu. 
„Aua!!!“ rief er plötzlich, als er über ein vergessenes Legosteinchen lief.
Der Drache schreckte hoch und schaute Jonathan mit seinen gelben Augen interessiert an.
Jonathan kniete sich vors Bett und streichelte zart den Drachen. Dieser schmiegte sich an Jonathans Arm und schien die Zärtlichkeiten zu genießen.
Jonathan lächelte den Drachen an und sagte zu ihm: „Hey, du brauchst doch einen Namen, oder?!“

Kapitel 7

Tofu

„Ich habe eine Idee!“ rief Jonathan begeistert. „Du heißt Tofu!“
Tofu gab zustimmend einen Laut von sich und auf einmal war er in der Luft und flog!
Jonathan machten den Mund auf und wieder zu.
Er guckte Tofu begeistert zu, wie dieser durch sein Zimmer flog.
„Jonathan, ich bin wieder zu Hause!“
Oh oh, daran hatte Jonathan gar nicht gedacht!
Er hörte schon das Quietschen der Stufen und dachte entsetzt: Mama kommt hoch!!!
Auf einmal klingelten bei ihm sämtliche Alarmglocken.
Er schnappte sich den Drachen und stopfte ihn in den Kleiderschrank.
Er setzte sich blitzschnell an seinen Schreibtisch und kramte sein Matheheft raus, schnappte sich einen herumliegenden Bleistift und tat so, als würde er schon die ganze Zeit Mathe machen.
Mama fragte erstaunt: „Du machst ja schon Hausaufgaben? Wie war denn die Schule?“
Jonathan antwortete: „Gut!“

Kapitel 8

Damit hast du wohl nicht gerechnet…

Jonathan machte die Augen auf. Er lag in seinem Bett und Tofu schaute ihm mit seinen süßen Glubschaugen ins Gesicht.
Er war mittlerweile so groß wie Jonathans Bett.
Jonathans Gedanken schwirrten auf einmal wie in einem Bienenstock durch seinen Kopf.
Er dachte daran, wie er das Ei bekommen hat und wie er Mama davon erzählt hat, als Tofu schon geschlüpft war…
Übrigens ist es so gewesen: Mama hat Tofu entdeckt und hat wie verrückt gekreischt.
Aber dann hat Jonathan sie „gerettet“ und ihr alles erzählt. Seitdem bekommt Tofu von Mama sogar sein Futter.
Aber zurück zu seinen Gedanken:
Jonathan fiel dann doch noch was ein, und zwar die Herausforderung von Nino.
Plötzlich wurde es Jonathan ganz heiß und er schwitzte ganz fürchterlich.
Er schaute Tofu tief in die Augen und erklärte ihm: „Heute habe ich einen Kampf mit Nino und du kommst mit, wie so eine Art Geheimwaffe, verstanden? Natürlich damit du ihn auch ein bisschen beeindrucken kannst…“
Den letzten Satz flüsterte er und musste ein bisschen kichern.
Tofu schaute Jonathan munter an und legte den Kopf schief.
Jonathan hielt das für ein „Ja“ und ging nach unten frühstücken.
Als er einige Zeit später neben Lotta in der Klasse saß, konnte Lotta gar nicht mehr aufhören zu quatschen!
Jonathan hörte gar nicht hin, bis Lotta sagte: „…und dann hat Nino zu mir gesagt, dass er heute jemanden verprügelt, und seine Geheimwaffen sind Jimmy und Johnny, die Zwillinge. Voll krass, oder?! Hast du `ne Idee, wer das Opfer ist?!“
Jonathan stockte der Atem. Er hätte nicht gedacht, dass sich Nino auch eine Geheimwaffe besorgen wird. Wobei er sich dachte, seine müsste wohl besser sein und kicherte innerlich.
Als er wieder zu Hause war, schaute er auf die Uhr.
Es war 16:30, Zeit, loszugehen.
Kaum war er in der Betongasse angekommen, sah er schon von weitem Nino, der die Fäuste ballte…
Nino schubste Jonathan gegen einen großen Container und auf einmal kamen Jimmy und Johnny, die Zwillinge, um die Ecke und boxten los!
Doch dann schrie Jonathan so laut er konnte: „TOFU!!!“
Tofu hörte es sofort und flog herbei. Er nahm Jimmy, Johnny und Nino in die Krallen und warf sie in den Container.

Kapitel 9

Der Zeitdrache

Das Doofe an Zeitdrachen ist, dass sie 100 Jahre brauchen, um erwachsen zu werden und leider leben die meisten Menschen nicht so lange.
Tofu begleitete Jonathan viele glückliche Jahre und erlebte mit, wie Jonathan heiratete und mit seiner Frau drei Kinder bekam.
Jonathan wurde älter und älter und starb schließlich mit 90 Jahren.
Tofu war allein.
Tofu verzog sich in eine Höhle und weinte.
Dann fing es sogar an zu regnen. Doch auf einmal begannen die Regentropfen zu sprechen. Sie sprachen zu ihm: “Deine Prinzessin wartet auf dich. Sie heißt Aurora und lebt auf dem Schloss Käfigtrauer im Jahre 1904. Du bist ein Zeitdrache und um zu Aurora zu gelangen, brauchst du nur daran zu denken, dass du in das Jahr 1904 willst und dann merkst du es schon von alleine.“
Tofu hörte zu und dachte: „Ich will nach 1904!“. Und schwupps war er im Jahre 1904. Er flog sofort los und sah schon bald Schloss Käfigtrauer. 
Er flog zu einem Türmchen und sah dort eine wunderschöne Prinzessin. Sie tanzte und summte und sprang fröhlich durch das Zimmer.

Kapitel 10

Tofu kann sprechen

Tofu wartete, bis es Nacht war und schaute nach der Prinzessin. Sie schlief glücklich und zufrieden in ihrem Bett. Tofu zwängte sich durch das schmale Fenster und stand direkt vor der schlafenden Prinzessin. 
Er ging ein paar Schritte zurück und knallte gegen einen Schrank. Es ertönte ein lauter Knall und die Prinzessin schreckte hoch, starrte Tofu stumm an und fragte mit heiserer Stimme: „Wer bist du und wie heißt du?“
„Ich bin ein Zeitdrache und heiße Tofu. Wie heißt du und wer bist du?“
„Ich bin eine Prinzessin und heiße Aurora. Mein Vater ist der König und ich bin hier eingesperrt. Wenn ich ausbüchse, bedeutet das den Tod der Königin, also meiner Mutter.“ Sie begann laut loszuschluchzen. Tofu bekam Mitleid und sagte zu Aurora: „Ich helfe dir, unter einer Bedingung! Du bleibst bei mir. Die Regentropfen haben mir gesagt, dass du meine Besitzerin bist.“

Kapitel 11

Der Plan

„Warte mal, du sagst, die Regentropfen haben zu dir gesprochen?“
„Ja, warum?“
„Weil...sie…auch…zu…mir gesprochen haben!“ stotterte Aurora.
„Sie haben gesagt, dass bald ein Drache mit dem Namen Tofu hier auftauchen wird.“
„Ich glaube, wir brauchen erst mal einen Plan, wie wir deine Mutter retten können.“
„Auf jeden Fall!“

Die Prinzessin holte eine Liste raus und schrieb etwas auf. Und zwar:

  1. Wir brauchen einen Fluchtplan. Vielleicht kann ich zu Mama gehen und ihr Bescheid sagen.
  2. Tofu holt mich und Mama ab und wir fliegen dann auf eine einsame Insel, oder so.
  3. Dort leben wir dann glücklich bis an unser Lebensende.

„Also…?“ fragte sie Tofu, als sie es laut vorgelesen hatte. „Bist du dabei?“
„Hallooo! Tooofuuuuu! Tofu, hörst du mich?“ 
Tofu zuckte zusammen als die Prinzessin ihm ins Ohr schrie und sagte lieber schnell: „Ja gut, ich mach mit. Das schaffen wir, oder?“
„Na klar doch! Ich habe mal Schwertkampf gelernt und an das meiste kann ich mich noch erinnern.“
„Was kann denn als Schlimmstes mit uns passieren, also wenn wir erwischt werden?“ fragte Tofu etwas ängstlich.
„Also…als Schlimmstes sterben wir alle! Aber das wird nicht passieren“, antwortete die Prinzessin locker.
„Wir sterben?!?!?!“ rief Tofu laut.
Doch es war zu laut, denn auf einmal fragte eine Stimme, die der Prinzessin bekannt vorkam: „Aurora, mit wem redet ihr da?!“
„Das ist Bastian, der Diener, der passt auf mich Tag und Nacht auf. Na los, weg hier… Morgen Nacht brechen wir aus“, flüsterte Aurora. Tofu zwängte sich durch das Fenster und flog in die Nacht hinein.

Kapitel 12

Das schaffen wir!

Tofu flog in eine Höhle und versuchte dort zu schlafen, aber er konnte nicht.
Als ihm dann vor Müdigkeit doch die Augen zufielen, träumte er von Jonathan, wie er ihn zum ersten Mal gesehen hatte und wie Jonathans Klamotten gemüffelt haben, als er Tofu in seinem Kleiderschrank versteckte, als Mama hochkam.
Am nächsten Morgen war Tofu sehr aufgeregt, denn heute sollte ja die Suche nach einem neuen Zuhause stattfinden.
Als es endlich Nacht wurde, flog Tofu zum Türmchen.
Dort wartete Aurora und sagte: „Ich hole meine Mutter!“
„Alles klar!“ sagte Tofu.
Aurora nahm sich eine Haarspange von ihrem Nachttisch und öffnete die Tür.
Kurze Zeit später kam Aurora mit ihrer Mutter und beide stiegen auf. 

Tofu flog los…

…und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie auf ihrer Insel noch heute…

Ende